New York, 28. Juni 1969: Im Stonewall-Inn, einer Bar im Greenwich Village, NY beginnen 4 Tage andauernde Straßenkämpfe gegen die Unterdrückung von queeren Menschen durch die Polizei. Sie sind die ersten mehrtägigen, radikalen Aufstände von queeren Menschen gegen staatliche Unterdrückung und Gewalt. Dieses „Stonewall“, radikaler Bezugspunkt der Gay Liberation, wurde in Jahrzehnten zum Mythos geschliffen und verkörpert für viele ein kollektives Coming-Out. Die Botschaft: Wir haben die Schnauze voll - Ab heute schlagen wir zurück. Aber von vorne. Die restriktive Gesetzgebung in den USA, die homosexuelle Handlungen bis hin zu nicht-geschlechtskonformer Kleidung verbot, führte zu einer sehr prekären Situation für viele, die von der heterosexuellen und zweigeschlechtlichen Norm abwichen. Nicht nur schwule Männer hatten Zuchthaus und Sanktionen zu befürchten, auch lesbische Frauen wurden Opfer von staatlich gestützter Gewalt und drohten darüber hinaus sogar das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren. Ganz zu schweigen von der Gewalt die denen drohte, die noch weiter am Rande der Gesellschaft lebten. Ab den 1950ern gründeten sich in den USA die ersten Homophilenverbände, die Mattachine Society setzte sich für Schwule, die Daughters of Bilities für lesbische Rechte ein. Das waren allerdings keine gewalttätigen Proteste im Stonewall-Stil, sondern Sit-Ins und Demos, die vor allem für einen Platz in der bestehenden Gesellschaft votierten.
Dem entgegen standen die Queens und Kings von Stonewall. Sie waren gesellschaftliche Outcasts und hatten kaum etwas zu verlieren. Darin ist auch die Begründung zu suchen, warum die Stonewall-Riots so stark aus dem Rahmen fielen. Es waren hauptsächlich marginalisierte Menschen, wie trans People of Colour, Sexworker*innen und obdachlose Jugendliche, die die Schnauze voll hatten und auf die Barrikaden gingen. Stonewall, das war keine Bitte um Inklusion und Akzeptanz, sondern ein riesiges „Fuck you“. Die globale queere Geschichte hat mit Stonewall eine radikale Seite bekommen, die sich von der Obrigkeit nicht mehr einfach auf die Fresse geben ließ.
Besonders an Stonewall war die Heftigkeit, die Dauer und die Nachhaltigkeit mit der sich diese Straßenkämpfe äußerten. Die wenigsten wissen allerdings heute, dass vor allem trans Menschen und Drag Queens, wie Marsha P Johnson oder Sylvia Rivera, aber auch Lesben wie Stormée DeLarverie mit zu den Auslöserinnen der Kämpfe zählten. Noch wenigeren ist bekannt, dass die Frauen, nur wenige hundert Meter vom Stonewall entfernt, ihre Kämpfe am women‘s house of detention führten, oder wie stark diese Geschichte mit der Black Power Bewegung verknüpft ist. Diese Storylines sind heute zu einem großen Teil von der Mainstreamerzählung überdeckt und dem weißen schwulen Helden gewichen, wie ihn ein Roland Emmerich in seiner Verfilmung (2015) – so heterolike wie möglich – inszeniert.
Kaum waren die Kämpfe nämlich verklungen, begannen die bürgerlichen, weißen, schwulen Kräfte das Ereignis für sich umzudeuten, es sich anzueignen und die Frauen, die (trans) People of Colour, die obdachlosen Jugendlichen, die Criminals und Queers auszuschließen, denn welches Licht, wirft das auf eine Schwulenbewegung, wenn „solche Leute“ vorneweg marschieren. Leute, wie Sylvia Rivera, wurden wenige Jahre später von der Bühne gebuht und aus der Bewegung gedrängt. Ganz im Sinne der Mattachines, die maßgeblich an der Umformulierung der Gay-Power-Protestbewegung und der kämpferischen „Gay Liberation Front“ zu einer viel gemäßigteren „Gay Activits Alliance“ beteiligt waren. Man wollte lieber den Eindruck friedlicher, braver Schwuler vermitteln, von denen keine Gefahr ausgeht.
„Stonewall was a riot!“ heißt, dass Menschen für die Gay Liberation ihre Jobs, ihre Wohnungen und ihre Leben verloren haben, dass trans Frauen von Polizisten vergewaltigt wurden und Kämpfer*innen für ihre Freiheit ins Gefängnis gingen. Stonewall, war ein Aufstand derer, die kaum etwas zu verlieren hatten und als solchen sollten wir es erinnern. Es wäre falsch uns als Kämpfer*innen von Stonewall zu stilisieren. Die meisten von uns hätten kein Wort mit diesen Leuten gewechselt. Wir hätten schlicht zu weit weg gewohnt, in besseren Vierteln, wir wären gar nicht erst in die Nähe gekommen und unterhalten hätten wir uns mit ihnen erst recht nicht, oder wann hast du das letzte mal mit einer*einem Prostituierten gesprochen, oder eine*n Obdachlose*n gefragt, wie es so geht?
Anlässlich des 50 jährigen Jubiläums ist es deshalb von Bedeutung die Geschichte von Stonewall neu aufzurollen und genau hinzuschauen. Hier haben Menschen um ihre Freiheit gekämpft, deren Schicksale sich bis heute oft nicht viel verbessert haben. Wenn Sylvia und Marsha heute auf uns runterschauen würden, dann wären wir ihnen wohl herzlich egal, denn diejenigen für die sie ihr Leben lang gekämpft haben, die haben am wenigsten von Allen von Stonewall profitiert. In der Hoffnung, dass sich das ändert: Auf die nächsten 50 Jahre!
Muriel Aichberger
für das CSD-Magazin 2019
Zum Autor:
MURIEL AICHBERGER
Muriel Aichberger (35) wohnt in München und engagiert sich für gesellschaftliche Vielfalt, rechtliche Gleichstellung und Chancengleichheit, sowie für Inklusion.
Als Autor, Trainer und Speaker berät er internationale Unternehmen, lehrt an Universitäten, schreibt für Magazine und Online-Publikationen und unterstützt Vereine und LGBTIAQ-Gruppen durch Wissensvermittlung.
Er forscht außerdem als Kunst-, Medien- und Sozialwissenschaftler mit besonderem Fokus auf Männlichkeitsforschung, nicht-binäre Geschlechterforschung und Queer-Studies.